Wiener Zeitung

Literaturmagazin Nummer 63, Juni 1993

Woody Allen in Berlin?

Jens Johlers Roman aus Erzählungen

Ja, was ist denn das? Was sind denn das nun wieder für merkwürdige Geschichten? Ein "Roman aus Erzählungen" soll das sein? Eine Gemeinheit ist das!

Man kann heute ziemlich viel einen Roman nennen, und kein Mensch unternimmt etwas dagegen, und wenn der Bundeskanzler sein Hunderl Roman tauft oder die Bahn einen ihrer Fernzüge so nennt, dann  kann ich leider nichts dagegen tun, aber daß sieben, übrigens sehr gute, Erzählungen, die motivisch, und auch was die Personen betrifft, eng zusammenhängen, dann zusammen einen Roman ergeben, das mach ich nicht mit, nein, das mach ich nicht mit, ich kann es nicht dulden.

Hänge ich 30 Aphorismen aneinander, dann ist das noch lange kein Essay, 300 Epigramme machen noch kein Lehrgedicht, und 3000 Fußnoten sind noch lang keine Doktorarbeit.

Hätte der Autor sein Werk einen "Kranz, gewunden aus sieben Erzählungen, der Liebe und Freundschaft geweiht" genannt, dann würde ich gegrinst, aber den Mund gehalten, aber so, aber so: ich muß diese sprachlichen Schlampereien entschieden rügen, denn wenn wir die Begriffe verlieren, haben wir überhaupt nichts mehr.

Daß der Verlag seinen Autor einerseits als Vertreter des britischen Humors, andererseits als eine Art Woody Allen in Berlin verkaufen will, kommt mir, ehrlich gesagt, einerseits konfus, andererseits reichlich vollmundig vor: einen Knaben, der die Grundrechenarten gut beherrscht, nennt man bestenfalls, um aufzumuntern, einen Newton; wer seinen Namen richtig schreiben kann, ist noch lange kein Shakespeare; und wenn ich auf der Schulabschlußfeier zwei Lieder aus der "Verkauften Braut" auch noch schön singe, darf ich mich doch noch lange nicht mit Fritz Wunderlich vergleichen. Soweit dieses.

Und dabei hat der Verlag es doch überhaupt nicht nötig, seinen Mann so lautstark anzukündigen: die Erzählungen sind durchaus sehr gut und amüsant und witzig; der Autor weiß, was er sagt, und er weiß auch, wie man Geschichten erzählt; und wir, die Leser, stellen uns schnell darauf ein, daß hier alles schiefgeht, das richtig Geplante doch irgendwie falsch wird, und wir werden nie enttäuscht.

Die Geschichten spielen in einer verwunschenen, dabei sehr modernen Welt, in der nichts so geht, wie es gehen müßte, wenn die Welt heil wäre. Die Objekte schlagen fortgesetzt tückisch zu. Die Menschen, und daraus entsteht meist die Komik dieses Autors, die Menschen reden aneinander vorbei und tun das, was sie schon immer gern tun wollten, und wovon sie dauernd reden, nie. Jeder hat alle Illusionen verloren und es muß doch irgendwie weitergehen.

Was mir, ganz abgesehen davon, daß der Autor seine Geschichten raffiniert heruntererzählt, und daß ich mich bei der Lektüre niemals gelangweilt habe - was mir also an dem Bändchen sehr, sehr gut gefällt, sind die vielen glänzenden Formulierungen, auf die man beinahe Seite für Seite stößt, und die, gut aphoristisch, Entscheidendes knappgefaßt auf den Nenner bringen. So über Metadiskussionen, klientenzentrierte Gesprächsführung, partnerbezogene Dialoghermeneutik, und ähnlichen Unfug: "Man verständigt sich darüber, daß man sich nicht verständigen kann, und denkt, man habe sich verstanden." Wahr ist's, wahr.

Man liest das Bändchen mit Vergnügen weg, weil immer und überall deutlich wird, daß der Autor nicht von irgendwelchen erträumten Welten, die ihm Wunschbild sind, schreibt, sondern von Menschen und Verhältnissen, die er kennt: Leuten, die an irgendwelchen Manuskripten herumschustern oder für den Rundfunk arbeiten, Leuten, die Ausstellungen vorbereiten oder von ihren Mandanten besucht werden, oft auch reichlich konfusen Leuten, die einerseits ihre Ruhe haben wollen, andererseits nicht allein sein können. Aber so ist das eben, heute, und ich kann den Autor für seine unprätentiöse Annäherung an eine Wirklichkeit, die nun einmal unsere Wirklichkeit ist, heute, so wie es um die Welt bestellt ist - ich kann den Autor für diese Annäherung nur mächtig loben.

Viele Episoden in den Erzählungen gefallen mir ausnehmend gut. So die Dispute um einen Mann, der sich weigert, die 500seitige Doktorschrift eines Bekannten zu lesen. Ich kann ihn gut verstehen, und ich weiß auch selber, wie beleidigt solche Doktoranden sind, wenn man ihre Schriften nicht liest, aber was soll man machen? Würde man solche Doktorschriften lesen, käme man wochenlang zu nichts anderem mehr. Also lassen wir's lieber. Schweren Herzens, freilich, freilich.

Sehr gut gefällt mir auch die Szene, in der ein Mann an seiner Wohnungstür auf eine Freundin wartet, und dann etwas ganz anderes herangebrummt kommt. "Es war nicht Sabine, die da herabschwebte, es war auch keine Göttin, es war nicht mal eine Frau, es war ein Mann. Ein Mann, der jeder Beschreibung spottete und der Reklamezettel durch die Briefschlitze steckte, wofür er vermutlich auch noch bezahlt wurde." Wer kennt das nicht? Man wartet, dann schaut's so aus, als käme sie endlich - und dann wird doch nur ein Zettel durch den Briefkastenschlitz gesteckt! So ist's andauernd im Leben, und Neues erfahren wir allenfalls einmal, wenn wir falsch verbunden wurden. Es ist immer und unbedingt dasselbe, man kann nichts tun.

Udo Dickenberger

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